Eine Ära geht zu Ende

Wir schreiben das Jahr 2005. Genauer gesagt, den 25. Juni 2005. Ich, 10 Jahre alt möchte unbedingt ein Fußballspiel sehen. Denn auf dieses Spiel hatte sich mein Papa schließlich sehr gefreut. Also auch ich. Der AC Milan, die damals wohl beste Mannschaft der Welt und ich denke auch eine der besten aller Zeiten steht im Champions League Finale. Kaká, Nesta, Gattuso! Muss ich noch mehr sagen? Ich denke nicht. Schevchenko, Maldini, Pirlo, Crespo! Und der Gegner, ein Verein mit großartiger Historie und leidenschaftlichen Fans, der Liverpool FC.

Das Problem: „Eine Halbzeit“ darf ich nur schauen, sagt Mama. Natürlich war das Gejammer den ganzen Tag lang groß. Doch dann nahte Hilfe. Mein Onkel wies mich darauf hin, dass wenn ich nur eine Halbzeit schauen dürfe, ich mir ja auch die Zweite aussuchen könne. Danke Holger!

Das Spiel war relativ schnell gelaufen. Das beinahe übermächtige Milan führte zur Halbzeit schon mit 3:0. Aber wer sich mit Fußball auskennt weiß, dass kein Spiel je wirklich gelaufen ist. Besonders nicht, wenn Liverpool involviert ist. Innerhalb von sechs Minuten glichen die Reds um Kapitän und Vereinslegende Steven Gerrard aus und gewannen schließlich im Elfmeterschießen.

Das ist das erste Fußballspiel, an das ich mich bewusst erinnern kann! Und was für eins das war. Natürlich hinterlässt so ein prägendes Ereignis Spuren bei einem sportverrückten Menschen wie mir. Der LFC hat seit jeher einen roten Flecken auf meinem ansonsten blau-weißen Fußballherzen hinterlassen.

Warum ich hier so in der Vergangenheit schwelge könnt ihr euch sicherlich denken. Als der LFC 2015 drohte im Mittelmaß zu versenken übernahm Jürgen Klopp das Traineramt. Er forderte ein wenig Geduld und sprach davon, dass man die Zweifler wieder zu Gläubigen machen muss. Gemeint war natürlich die Fans, die den Verein zu dem machen, was er ist, wieder voll hinter die Mannschaft zu bringen und eine Einheit zu bilden. Wenn alle, Spieler, Verantwortliche und vor allem die Fans dran glauben, könne unter anderem auch die langersehnte Meisterschaft geholt werden. Sofort entfachte er ein Feuer. Man vertraute ihm und war sich sicher, dass das nur zu einer Erfolgsgeschichte werden kann. Denn dieser Typ, der seine Leidenschaft so offensichtlich zum Beruf gemacht hat wie kein Anderer, passt zu diesem Verein wie die berühmte Faust aufs Auge.

Sichtbare Fortschritte und Teilerfolge kamen relativ schnell. Doch häufig verpasste man den letzten Schritt. Auf eine Finalniederlage folgte die Nächste. Im Jahr 2019 verpasste man eine sicher geglaubte Meisterschaft denkbar knapp und wurde mit 97 Punkten nur zweiter. Punkterekord für einen Vizemeister! Doch dann die Erlösung. In Madrid konnten die ersatzgeschwächten Reds Tottenham Hotspur mit 2:0 besiegen und sich zum Champions League-Champion krönen. Im Folgejahr dann der absolute Höhepunkt. Endlich konnte man die Flaute beenden und das erste Mal seit 1990 englischer Meister werden. Und das so früh wie noch nie! Bereits sieben Spieltage vor Schluss waren die Reds nach Aufnahme des Spielbetriebs nach der Corona-Pause uneinholbar vorne. Am Ende waren es 99 Punkte, womit man den Punkterekord von Manchester City aus dem Jahr 2018 um nur einen Punkt verpasste. Natürlich interessierte das niemanden, denn das war der Titel, den alle Liverpool Fans wollten. Und sie haben ihn bekommen. Wir haben ihn bekommen!

„Es ist nicht wichtig, was die Leute von einem denken, wenn man kommt. Es ist wichtig, was sie denken wenn man geht.“

Das waren die Worte von „The Normal One“ auf der Pressekonferenz bei seinem Amtsantritt. Und heute hat er Liverpool als Trainer leider verlassen. Also? Was denken wir? Der „Boss“, wie er in Liverpool genannt wird, war immer mit voller Leidenschaft und Herzblut dabei. Leider eine zur Seltenheit gewordene Eigenschaft im Fußballgeschäft. Auch wenn dabei mal eine Brille zu Bruch gegangen ist, war ihm das völlig egal. Ebenso seine Nähe zu den Fans. Wer hinterlässt seinen Fans heutzutage noch persönliche Videobotschaften? Oder lädt sie höchstpersönlich inklusive Führung auf das Trainingsgelände ein und stellt jungen und alten Fans die Spieler vor. Welcher Trainer setzt sich in eine Bar und trinkt ein Bier mit dem Fan, der das berühmte „Allez, allez, allez“ Lied schrieb, welches das Team zum Champions League Titel getragen hat? Der Boss macht das! Da werden die Titel und Erfolge, die man in den neun Jahren zusammen feiern konnte fast zur Nebensache.

Bei seiner Abschiedsrede fand er beeindruckende Worte. Man hatte nicht das Gefühl der Trauer um seinen Abschied, sondern empfand Vorfreude auf das was jetzt kommt. Man solle den heutigen Tag auf keinen Fall als ein Ende sehen, sondern als einen neuen Anfang. Die Zukunft für den Verein sehe goldig aus und wies dabei auf die unzähligen Talente aus der eigenen Jugendakademie hin, die neben den Superstars Mo Salah, Virgil van Dijk und co für ihn Spalier standen. Man solle in der nächsten Saison nicht mehr sein Lied singen, fuhr er fort und stimmte dann die Melodie von „Live Is Life“ an, wobei er die Zeile „live is life“ mit „Arne Slot“ ersetzte. Den Namen seines schon bekannten Nachfolgers. Die Fans sollen ihn von der ersten Sekunde so unterstützen, wie sie es für ihn getan haben.

Unter anderem auch dadurch schaffte er es wie so häufig, Hoffnung und den Glauben daran, seine Träume erfüllen zu können zu vermitteln. Werte für die er schon immer gestanden hat. Davon können auch die Mainzer und Dortmunder ein Lied singen. Werte, die nicht nur im Fußball, sondern auch im täglichen Leben anzuwenden sind. Genau das war Klopp immer wichtig und verkörperte es zu jeder Zeit mit voller Überzeugung.

Und was bleibt noch hängen aus dieser Zeit? Für mich auf jeden Fall eine Menge positiver Erinnerungen. Die besagte zerbrochene Brille beim fast schon übertrieben frenetischen Torjubel zum Beispiel. Aber so ist er eben. 100% Authentisch. Oder auch die Tränen von seinen Spielern bei Klopps Abschied. Das können in diesem schnelllebigen Geschäft nur wenige Trainer von sich behaupten. Natürlich bleiben auch einige unglaubliche Spiele hängen. Drei davon sind mir dabei in besonderer Erinnerung geblieben:

Das für BVB-Fans schmerzhafte Europa League Viertelfinale 2016, als man nach einem 1:1 Hinspiel in Dortmund im Rückspiel schnell 0:2 und in der zweiten Halbzeit 1:3 zurück lag, doch in der Nachspielzeit noch den Siegtreffer erzielen konnte. Und das kurz vor dem Jahrestag der Hillsborough-Katastrophe.

Als Zweites das verrückte Champions League Halbfinale gegen Lionel Messi und den FC Barcelona. Das Hinspiel verlor man im Camp Nou mit 0:3. Doch Klopp schaffte es, den Glauben ans Weiterkommen so zu überbringen, als hätte man das Hinspiel nicht verloren, sondern gewonnen. Und das obwohl mit Mo Salah und „Bobby“ Firmino zwei der „Fab-3“ fehlten. Das Rückspiel ist bis heute Legendär und wird es auch immer bleiben. 4:0 hieß es am Ende durch die Blitz-Idee von Trent Alexander-Arnold, als er die Barca-Abwehr alt aussehen ließ und einen Eckball schnell ausführte, welchen Divock Origi verwandelte. Das Tor dürfte allen bekannt sein oder?

Das dritte Spiel ist etwas ungewöhnlicher aber (für mich) nicht weniger bedeutend. Im Jahr 2020 wird auch die Fußball-Welt vom Corona Virus lahm gelegt. Doch nach über fünf Monaten konnten die Reds am 6. Dezember 2020 gegen die Wolverhampton Wanderers zum ersten Mal wieder Fans im Stadion begrüßen. Eine Wohltat für jede Fußballseele, nach den ganzen „Geisterspielen“ endlich mal wieder Fans im Stadion singen zu hören. Das 4:0 Endergebnis interessierte dabei fast niemanden.

Schon jetzt spricht man in Liverpool davon, ihm ein Denkmal zu setzen. In welcher Form auch immer. Hauswände wurden ja schon mit Porträts von ihm bemalt. Eine Statue vorm Stadion? Im Anfield Stadion gibt es schon den „Sir Kenny Daglish Stand“. Wie wär’s mit „Jürgens Kop“? Hier habt ihr’s zuerst gehört. 😉

Bleibt zum Schluss also nur „Danke“ zu sagen. Danke für eine unglaubliche Zeit bei einem der größten und sympathischsten Vereinen der Welt. Danke für viele tolle Erinnerungen. Danke für viele Titel und Trophäen. Vor allem aber danke dafür, dass du immer du selbst geblieben bist und dabei deine Werte nach außen getragen und vermittelt hast. Häufig wusste man nicht, ob du gerade über Fußball sprichst oder über das alltägliche Leben. Damit hast du das Leben vieler Menschen nicht nur in Liverpool positiv beeinflusst!

Danke! You’ll never walk alone!

Eine Antwort zu „Eine Ära geht zu Ende”.

  1. Avatar von Ulrich Gogolin
    Ulrich Gogolin

    Hallo David, genau auf den Punkt gebracht, er ist ein sehr sympathischer Mensch und Liverpool ein guter Verein.

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