Die Heim-EM 2024

Nach der Bundesliga ist vor der Europameisterschaft. Gerade einmal zwei Wochen hat es gedauert, als das Champions League-Finale die Saison des Vereinsfußballs beendet hat. Ein Land, in dem die Menschen noch die verschiedensten Vereine von der Bundesliga bis in die Kreisliga angefeuert haben, hält zusammen und feuert die Nationalmannschaft an. Naja so war es zumindest ungefähr bis zu dem Zeitpunkt als „Die Mannschaft“ bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland in der Vorrunde ausgeschieden ist. Als Gruppenletzter! In einer mit Schweden, Mexiko und Südkorea vermeintlich einfachen Gruppe.

Seitdem ist die Nationalmannschaft in den Augen vieler Fußballfans fast schon zu einer Lachnummer geworden. Die Schadenfreude über Misserfolge kennt keine, oder nur wenig Grenzen. Das beste Beispiel dürfte „Queerpass-Toni“ sein. Während der WM 2014 noch als einer der besten Mittelfeldspieler der Welt gefeiert, wird Toni Kroos seitdem häufig als Sündenbock dahingestellt. Jeder Pass, der mal quer kommt wird teilweise aufs schärfste kritisiert, während von ihm herausgespielte Torchancen hingegen ignoriert werden. Dass er in genau dieser Zeit bei seinem Verein Real Madrid zu einem der erfolgreichsten Fußballprofis aller Zeiten geworden ist, wird dabei beinahe komplett vergessen. Sechs mal hat er inzwischen die Champions League gewonnen! Ein Mal mit den Bayern und fünf mal mit den Königlichen. Und dabei war er keineswegs eine Randfigur. Ganz im Gegenteil. Spätestens nach dem Abgang von Cristiano Ronaldo wurde er zu der zentralen Figur der Mannschaft. Er gibt den Takt an. Wenn das Spiel beruhigt werden muss, tut er es und das Team folgt. Ja, da geht dann auch mal der eine oder andere Pass quer. Wenn’s aber schnell gehen muss, spielt er Pässe die kaum ein Anderer spielen kann. Nicht umsonst war er unter jedem Trainer in Madrid der unumstrittene Spielmacher der Mannschaft.

Aber dass es nicht so lief, wie man es von einer deutschen Nationalmannschaft gewohnt ist, lag keineswegs nur an ihm. Oft wurden nur Namen aufgestellt und nicht nach Leistung. Einige Spieler sahen in meinen Augen oft lustlos aus. Wo es in anderen Nationen als eine Ehre angesehen wird, für die Nationalmannschaft spielen zu dürfen, schien es häufig so, als würden sie die Spiele als Last sehen. Aber wenn die Fans diese Einstellung quasi verkörpern, wieso sollten die Spieler das anders machen? Jedes Mal, wenn’s nicht lief gab’s auf die Mütze. Bei Erfolgen war dann wiederum die Rede vom berühmten blinden Huhn.

Jetzt, unter Bundestrainer Julian Nagelsmann wurde dann endlich der geforderte Umbruch vollzogen. Wer Leistung bringt, wird nominiert! So wie es sein sollte. Und das scheint soweit auch Früchte zu tragen. Testspiel-Erfolge gegen Frankreich und die Nachbarn aus den Niederlanden konnten gefeiert werden. Die Jungen, und Hungrigen machen ordentlich Dampf auf die erfahrenen Nationalspieler. Und genau an denen merkt man in meinen Augen den Unterschied. Kai Havertz, quasi Sündenbock Nummer zwei scheint so langsam aber sicher an seine gute Saison bei Arsenal anknüpfen zu können. Antonio Rüdiger ist der Fixpunkt in der Abwehr, der er auch bei Real Madrid ist. Joshua Kimmich hat offensichtlich eingesehen, dass er hinten rechts mehr gebraucht wird als im überbesetzten zentralen Mittelfeld. Sogar Toni Kroos wurde vom Großteil der Fans mit offenen Armen zurück in der Nationalmannschaft begrüßt.

Und die „Neulinge“, die den Druck ausüben haben es ebenfalls in sich. Allen voran die Jungstars Jamal Musiala und Florian Wirtz bringen mehr als nur frischen Wind in die Mannschaft. Mit ihren Dribblings und genialen Ideen können sie zusammen jede Abwehr vor Probleme stellen. Dann sind da noch die drei Stuttgarter, die nach ihren überragenden Saisons auf ihren Einsatz bei der EM brennen. Niclas Füllkrug, vor knapp drei Jahren noch in Bremen (damals Zweitligist) suspendiert worden, wird richtig Bock haben die Vorlagen von Wirtz und Musiala zu verwerten. Robert Andrich ist dabei, der wie beim deutschen Meister Bayer Leverkusen den kreativen Spielern den Rücken frei halten soll, und noch dazu ein großartiger Fußballer ist. Pascal Groß bekommt endlich die Chance, die er eigentlich schon seit Jahren verdient hat. Und noch so viele mehr.

Aber wie weit kann es diese neu formierte Mannschaft in diesem Turnier bringen? Sie besitzt vielleicht nicht die Qualität, wie allen voran die Engländer, Franzosen und Spanier es tun, aber diese Gruppe A zu gewinnen sollte auf jeden Fall drin sitzen. Wenn das geschieht, wartet der Zweite aus Gruppe C, was auf Dänemark oder Serbien hinauslaufen würde. Auch keine unmöglichen Aufgaben. Aber dann kommt wahrscheinlich mit Spanien der erste richtig dicke Brocken. Sollte das überstanden werden, könnten möglicherweise Portugal oder die Niederlande im Halbfinale warten. Um das ganze zusammenzufassen: Wenn die Mannschaft einen guten Lauf erwischt, kann sie definitiv jeden schlagen und es sehr weit bringen. Man darf ihr aber auch nicht böse sein, wenn es nicht klappt. Denn wie hat Per Mertesacker bei der WM 2014 sinngemäß gesagt? Bei so einem Turnier ist keine Karnevalstruppe dabei! Aber eines steht fest: Wenn es weit gehen soll, dann braucht die Mannschaft unsere Unterstützung!

Und genau daran appellierte Pascal Groß indirekt mit seiner Geste nach seinem Siegtreffer im letzten Testspiel gegen Griechenland. Er küsste das Wappen! „Machen sie doch alle“, werdet ihr jetzt bestimmt sagen. Nicht zu unrecht. Im Vereinsfußball mag das stimmen. Da küsst einer das Wappen und sobald ein anderer Verein mehr Gehalt bietet ist er weg. Aber wie sagte Pascal Groß? „Ich glaube, das Wappen Deutschlands zu küssen, kann ich mit gutem Gewissen machen. Das habe ich bei einem Vereinswappen noch nie gemacht.“ Recht hat er! Denn, sich für sein Land zu bekennen, Flagge zeigen, Schwarz-Rot-Gold mit Stolz und breiter Brust zu tragen? Das ist in Deutschland ja leider aus historischen Gründen mit Vorsicht zu genießen und wird nicht nur deswegen häufig Missverstanden. Aber Sport verbindet ja bekanntlich die Leute.

Und genau da trifft er den Punkt. Lasst uns zusammen UNSERE Mannschaft anfeuern. Denn dieses Team spiegelt unser Land doch so einzigartig und perfekt wieder. Groß. Klein. Ruhig und zurückhaltend. Extrovertiert und laut. So viele verschiedene Hautfarben, Herkünfte und Glaubensrichtungen. Und noch so viel mehr. Jeder bringt seine eigenen Qualitäten mit und trägt seinen Teil zum Großen und Ganzen dazu! Egal ob Busfahrer oder Torjäger. Und wenn alle zusammen arbeiten, dann kann etwas Großartiges entstehen. Heute ist es eine EM, bei der die Spieler ihr Herz auf dem Platz lassen und wir (hoffentlich) alle entweder auf den Rängen im Stadion, Zuhause vorm Fernseher oder beim public-viewing ebenso alles geben. Morgen ist es dann vielleicht etwas völlig anderes.

Also: Holt die Deutschland-Fahnen raus, supportet das Team und lasst uns diesen Sommer so geil werden lassen, wie den 2006 oder 2014. Und wer weiß, vielleicht holen wir dann sogar das Ding. Gemeinsam!

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