Zwei Dinge muss ich vorweg nehmen: Wer halbwegs objektiven, seriösen und vor allem neutralen Journalismus erwartet ist in diesem Blog sowieso falsch. Aber dieser Artikel wird von meinen persönlichen Meinungen beinahe platzen.
Und zweitens: Auch wenn ich mir als jahrelanger Fußballfan und ehemaliger Kreisliga-Spieler ein gewissen taktisches Grundwissen nicht absprechen würde, bin ich weder Taktikexperte noch ausgebildeter Fußballtrainer. Eines ist für mein Laienauge dennoch nicht zu übersehen.
Als Thomas Letsch Anfang der letzten Saison nach Bochum kam war allen bewusst, dass sein bevorzugtes Spielsystem das 5-3-2 bzw. 3-5-2 im Ballbesitz ist. Das kam bei seinem ersten Pflichtspiel in Leipzig auch sofort zum Einsatz. Mit mäßigem Erfolg. Das Spiel ging mit 0:4 in die Hose. Es folgte die Rückkehr zum alten 4-3-3, womit am Ende der Saison dann auch knapp der Klassenerhalt gefeiert werden konnte. In seiner ersten Saisonvorbereitung dann folglich die Umstellung auf die Fünferkette. So richtig überzeugt war in Fan-Kreisen des VfL niemand vom neuen System. Doch ich persönlich fand die Idee eigentlich ganz gut, auf diese Weise etwas Stabilität in die schlechteste Defensive der Vorsaison zu bringen.
Die Vorbereitung lief dann mäßig bis schlecht. Genauso der Saisonstart mit dem Pokalaus in Bielefeld und der Klatsche in Stuttgart. Dann der erste Lichtblick im Derby gegen Dortmund, welches durchaus verdient mit 1:1 endete. Mit aggressivem, frühen Anlaufen, großem Kampf und tatsächlich auch einigen spielerischen Elementen ging man den schwarz-gelben gewaltig auf die Nerven. Beim Auswärtsspiel in Augsburg war man eigentlich die bessere Mannschaft, musste sich aber mit einem 2:2 Unentschieden zufrieden geben. Auch das 1:1 gegen Frankfurt war ordentlich. Dann ging‘s aber nach München. Was da passiert ist, wissen wir alle. Die Leistung (oder auch Nicht-Leistung) dort ging bei der Sportzeitschrift Kicker in die Historie ein. Der Notendurchschnitt von 5,82 ist der schlechteste, der je vom Kicker an eine Startelf vergeben wurde. Neun Spieler kassieren dabei die Note 6!
Und jetzt das Heimspiel gegen Gladbach. Habe ich in meinem letzten Beitrag im Zusammenhang mit dem VfL noch von Jekyll und Hyde gesprochen? Dieses Mal hat er das Kunststück fertig gebracht beide Gesichter im selben Spiel zu zeigen. Aber wie konnte es dazu kommen? Ich versuche mich mal mit meinem taktischen Halbwissen auf Spurensuche zu begeben.
Die ersten Minuten sahen so übel eigentlich gar nicht aus. Man versuchte engagiert und mutig nach vorne zu spielen, aber es fehlten die Ideen. Damit schlichen sich Unsicherheiten und Unsauberkeiten ein und man lief gewissermaßen ins offene Messer. Mit jeder Minute, die verstrich, sah man bei den Profis des VfL die Ratlosigkeit und Verzweiflung steigen. Mit einem katastrophalen Fehlpass leitete man selber das 0:1 ein. Über die Außenbahnen ging so gut wie gar nichts. In meinen Augen auch nicht weiter verwunderlich. Wie soll da auch was gehen, wenn die beiden Außenverteidiger, in dem System „Schienenspieler“ genannt, auf ihren jeweiligen Seiten gänzlich alleine gelassen werden? Die Mitte ist völlig überladen und für die Gladbacher scheinbar einfach zu verteidigen. Jeder Pass nach außen verpuffte, da dort die Anspielstationen fehlten und es zurück in die Mitte ging. Daraus folgten verzweifelte Chip-Pässe hinter die Abwehr, die wiederum allesamt beim Torwart endeten. Irgendwann hat man spielerische Lösungen komplett aus dem Playbook gestrichen und den Ball Manuel Riemann überlassen, der mit unzähligen langen Schlägen immer wieder vergeblich Hofmann suchte.
Im Spiel gegen den Ball wollte man die Gladbacher früh stören. Passlack und Wittek schieben hoch, was hinter ihnen große Lücken zufolge hatte. Diese konnten die Gäste optimal nutzen, denn gegen die drei Innenverteidiger hatte die Gladbacher Offensive deutliche Geschwindigkeitsvorteile. Folglich die völlig verdiente 3:0 Halbzeitführung der Gäste. Pfiffe begleiteten die Bochumer in die Kabine.
In der Pause wechselte Letsch dann dreifach. Beide Schienenspieler mussten zusammen mit Stöger weichen. Dafür kommen Förster, Daschner und Gamboa. Sofort, noch vor Anpfiff konnte man dann wieder die Viererkette beim VfL erkennen. Was folgt ist ein völlig anderes Spiel. Im 4-2-3-1 bzw. 4-3-3 sah man sofort, dass die durchaus nicht unkreative Zentrale die schnellen Außenspieler suchte. Diese wurden von den Außenverteidigern unterstützt und siehe da, es flogen plötzlich Flanken durch den Strafraum der Gladbacher. Das hat man in der ersten Hälfte gar nicht gesehen, dass ein Blauer mal bis zur Grundlinie vorstoßen und flanken konnte. Und durch Hinterlaufen ergaben sich Möglichkeiten für die Flügelspieler der Bochumer in die Mitte zu ziehen. Natürlich ist auch der lange Ball von Riemann auf Hofmann immer noch wichtiger Bestandteil des VfL-Angriffes aber eben, nicht wie im 5-3-2 gefühlt der einzige Bestandteil. Im Großen und Ganzen hatte man das Spiel an sich gerissen. Die Gäste sind zwar technisch immer noch die bessere Mannschaft, doch dieses Defizit konnte man, wie im Abstiegskampf unumgänglich, mit viel Kampf ausgleichen und war durchaus auf Augenhöhe. Auch wenn die Unsicherheiten nicht komplett abgestellt werden konnten und die Gladbacher so zu Torchancen kamen. Trotzdem reichte es nur für ein Bochumer Tor und somit zur 1:3 Niederlage. Aber der VfL strahlte plötzlich Torgefahr aus, was in der ersten Hälfte noch unmöglich schien.
Am Ende des Spieles wussten die Fans im Ruhrstadion nicht wirklich, wie sie mit dem Spiel jetzt umgehen sollen. Ist man jetzt sauer und enttäuscht aufgrund der ersten Halbzeit, die nicht ansatzweise Bundesligareif war und zurecht mit Pfiffen quittiert wurde? Oder applaudiert man für die gute Leitung in der zweiten Halbzeit?
Was bleibt also hängen von diesem Nachmittag? Für mich ganz klar: Der VfL braucht die Rückkehr zur Viererkette! Mit einfachen Mitteln Fußball spielen! Kein kompliziertes 5-3-2 in dem ein Innenverteidiger mit ins Mittelfeld schiebt. Kein weites Hochschieben der einzigen Flügelspieler, wodurch dahinter große Lücken entstehen und die Innenverteidiger in Bedrängnis gebracht werden. Der Vergleich scheint weit her geholt, aber in der Nationalmannschaft konnte man meiner Meinung nach kürzlich ähnliches beobachten. Einer verunsicherten Mannschaft wurde mit einfachem Fußball wieder Sicherheit gegeben. Oder im Bochumer Fall: Die Qualitätsunterschiede der Einzelspieler im Vergleich zur Konkurrenz mit einfachen Mitteln und viel Kampf ausgleichen.
Gewinner des Nachmittages ist also definitiv Borussia Mönchengladbach, die ihren ersten Saisonsieg feiern konnten und die Bochumer Viererkette.
Und die Verlierer? Offensichtlich die Fünferkette. Noch wer? Ja! Denn leider haben sich heute beide Fanlager nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Das Spiel wurde erst mit zehnminütiger Verzögerung angepfiffen, da die Gladbacher scheinbar getroffene Absprachen mit den Bochumer Sicherheitskräften ignorierten, mit Zaunfahnen einige Fluchtwege versperrten und sich dann weigerten, diese abzuhängen. Erst als Spieler der Borussia sich in die Fankurve begaben und mit den Fans sprachen, gaben die Fans nach und die Fluchtwege frei. Trotzig wurden dann gleich restlos alle Banner vom Zaun entfernt. Danach wurde noch gezündelt und Pyrotechnische Mittel flogen sowohl auf das Spielfeld als auch über den Zaun des Gästeblocks in den Bochumer Fanblock. Super! Nach einem Gladbacher Tor flogen dann aus dem VfL-Block mal wieder Becher aufs Feld. Klingelt da was? Na klar! Denn vor zwei Jahren musste schon mal ein Spiel des VfL gegen Gladbach erst unterbrochen und schließlich abgebrochen werden, da ein Bierbecher damals den Linienrichter traf. Mal wieder tolle Werbung für den Fußball und seine Fans von beiden Fanlagern.
Ein weiterer Verlierer ist der Videoschiedsrichter, der drei Mal eine gefühlte Ewigkeite brauchte um Entscheidungen zu treffen. Eigentlich ja kein Problem, denn wenn am Ende die richtige Entscheidung getroffen wird ist die Zeit sinnvoll investiert. Aber genau da liegt wieder das nächste Problem. Die Zeit. Ich finde die Einführung der Nettospielzeit keine so schlechte Idee. Mag meine persönliche und exklusive Meinung sein, ja. Aber diese wurde heute nochmal verstärkt. Denn gefühlt jede Minute lag ein Gladbacher am Boden. Die Gäste ließen sich bei jeder Unterbrechung aufreizend viel Zeit. Sowohl bei Abstößen, Freistößen, Einwürfen und Ecken als auch bei Auswechselungen, die erst vom Offiziellen mit der Tafel angekündigt, dann erst nicht und zwei Minuten später dann doch ausgeführt werden. Alles gerade so im Rahmen der Regeln. Machen die Bochumer bei eigener Führung sicherlich genauso. Aber mir kann niemand erzählen, dass Profis, die mit dem Sport nicht gerade wenig Geld verdienen in einem 90-Minütigen Spiel nach einer Woche Pause mit Krämpfen zu kämpfen haben. Nachgemessen habe ich im Stadion natürlich nicht aber mich würde es wundern, wenn der Ball in der zweiten Halbzeit trotz sechsminütiger Nachspielzeit (immer noch deutlich zu wenig aufgrund der langen Unterbrechungen) auch nur fünfundzwanzig Minuten rollte. Sollte man vielleicht mal drüber nachdenken. Denn ich wette dann wird kein Profi mehr mit “Krämpfen” am Boden liegen bleiben. Wenn beispielsweise jedes Mal die Zeit angehalten wird, nachdem der Ball fünfzehn Sekunden lang nicht rollt.

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